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des Dichters schlechthin gefangene Schwarmgeister werden in ihm einen groen Dichter sehen. Er war ein kleiner Dichter, aber immerhin ein Dichter. In seinen Versen rauscht die schwarzrotgoldene Fahne und klirren die Sensen aufrhrerischer Bauern. Historisch sind die 48er Lyriker als die Trger des Revolutionsgedankens von grцter Bedeutung. Alle Revolutionen sind mehr oder weniger von Literaten gemacht worden. Jahre und oft Jahrzehnte schon vor der Explosion begannen sie, Bomben zu legen und zu minieren. Das menschlich wie dichterisch fortreiendste Revolutionslied stammt von _Heinrich Heine_ (aus Dsseldorf, 1797-1856): »Die schlesischen Weber«:

Im dstern Auge keine Trne,

Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zhne:

Deutschland, wir weben dein Leichentuch,

Wir weben hinein den dreifachen Fluch:

Wir weben, wir weben!

Um keinen deutschen Dichter ist so heftig der Kampf der Meinungen entbrannt wie um Heine. Man hob ihn in den hцchsten Himmel. Stie ihn in die tiefste Hцlle. Man bleibe in der Mitte: lasse ihn auf Erden: hier war sein Platz und wird es immer sein als der eines tapferen Soldaten des Geistes und eines eigenund einzigartigen Liedersngers. Er gehцrt mit Goethe, Eichendorff, Mцrike zu den Meistern des deutschen Liedes: jener besonderen, dem Volksmunde entnommenen deutschen Dichtform, einer Form, wie sie die Romanen nicht kennen. Schmerz und Lust, Tod und Liebe sind die einfachsten Themen seiner einfachen Lieder. Lat nur auf Schmerz sich Herz, auf Tod sich Morgenrot reimen: es sind die schцnsten Reime, die man dazu finden kann. Man braucht sie gar nicht erst zu suchen, sie sind schon da: sie sind als Reimpaare in der deutschen Sprache und im deutschen Herzen zur Welt gekommen. Aber Heine singt nicht immer so einfache Lieder. Zuweilen wird es ihm unertrglich, da jemand Fremdes aus seiner Seele lauscht. Er zerreit die Saiten und die Tцne plцtzlich. Dissonanzen schrillen. Oder er nimmt gar die Laute und schlgt sie

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dem philisterhaften Greise, der ihn wie Susanne im Bade in seiner Nacktheit belauscht, auf den hohlen Schdel und um die Ohren. Diese ironischen Gedichte, gegen den Philister berhaupt und den Philister in der eigenen Brust gerichtet, gehцren zu den merkwrdigsten Expressionen des menschlichen Pessimismus. Mit _Ludwig Bцrne_ (aus Frankfurt, 1786-1837) und _Karl Gutzkow_ (aus Berlin, 1811-1878) bekmpfte Heinrich Heine von Paris aus, wohin er aus dem gastlichen Deutschland geflchtet war, »die Tyrannen und Philister«. Diesen Kampf vom Ausland her (man warf ihm, genau wie whrend des Weltkrieges den deutschen Emigranten in der Schweiz, vor, da er mit vergifteten Pfeilen Deutschland in den Rcken schiee) hat man ihm besonders bel genommen, und ganz besonders bel seine Stellung zu den Hohenzollern. Er erwies sich aber in seinen politischen Bemerkungen und Schriften (»Franzцsische Zustnde« usw.) als Politiker von untrglichem Instinkt und adlersicherem Blick. Man hцre, wie er in der »Lutezia« die europische Zukunft beurteilt. Er prophezeit ein groes »Spektakelstck«, den »grlichsten Zerstцrungskrieg« zwischen Deutschland und England--Frankreich--Ruland. »Doch das wre nur der erste Akt des groen Spektakelstckes, gleichsam das Vorspiel. Der zweite Akt ist die europische, die Weltrevolution, der groe Zweikampf der Besitzlosen mit der Aristokratie des Besitzes, und da wird weder von Nationalitt, noch von Religion die Rede sein: nur ein Vaterland wird es geben, nmlich die Erde, und nur einen Glauben, nmlich das Glck auf Erden ...«

Heine war nicht nur Dichter, er war vor allem Schriftsteller. Als solcher hat er unterund berirdisch eine Wirkung ausgebt, die nicht leicht berschtzt werden kann. Er ist der Prototyp des Zeitungskorrespondenten: der erste europische Journalist und Feuilletonist. Da seine Wirkung nicht nur heilsam war: wollen wir's ihm ankreiden oder nicht vielmehr seinen tцrichten und anmaenden Epigonen? Freilich, auch er ist gestrauchelt: in so mancher seiner privaten Polemiken (gegen Platen z. B.). Er hat dies und vieles mehr gebt in seiner »Matratzengruft« in jahrelangen Leiden, die ihn ans Bett fesselten und zum langsamen Tode verurteilten. Er nannte sich selber der »Arme Lazarus«. Und unter den Lazarusgedichten finden sich seine echtesten und ergreifendsten Gedichte. Alle seine

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Schmerzen legte er in ihnen blo. Er war schon lange des Lebens mde geworden. Die vielen Frauen, die ihn geliebt hatten, waren von ihm gegangen. Geblieben war bei ihm sein »dickes Weib Mathilde« und eine kleine letzte Freundin: die Mouche, wie er sie nannte, die Fliege. Aber sie vermochte nur selbst zu fliegen, ihm selber konnte sie das Fliegen nicht mehr beibringen. Er war so sterbensmde geworden:

Gut ist der Schlaf, der Tod ist besser -- freilich

Das Beste wre nie geboren sein.

Und oft sprach er vor sich hin, wenn niemand ihn hцrte:

Der Tod, das ist die khle Nacht,

Das Leben ist der schwle Tag,

Es dunkelt schon, mich schlfert ...

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ber den sogenannten schwbischen Dichterkreis sind wir mit Heine einer Meinung. Die schwbischen Dichter, unzhlbar wie der Straenstaub in Stuttgart, zeichnen sich durch eine betonte Philisterhaftigkeit aus. Wenn ihrer trefflichen, wohlgerundeten Gattin sonntags die Klцe oder die Sptzle nicht recht gerieten, dann ziehen sie die Stirne kraus, die Adern schwellen, und auf dem Kopf die Nachtmtze zittert vor Erregung. Sie laufen erregt durchs Zimmer und stolpern wohl ber die Quasten und Bommeln ihres Schlafrockes. Und sind erst beruhigt, wenn Mutter die Pfeife stopft und einen extra guten Kaffee zum Nachtisch kocht. Da schwellen die Adern ab, die Nachtmtze beruhigt sich. Die Jngste bringt ein blaues Schreibheft von Vaters Schreibtisch, die lteste Tinte und Gnsekiel. Und, bewacht und betreut von den Seinen, beginnt Vater zu dichten. _Ludwig Uhland_ (1787-1862) ist in Tbingen geboren, und der Geist dieser kleinen Waldund Universittsstadt war der seine. Ernste Wissenschaftlichkeit in den grauen Hцrslen, das heitere Spiel der Wolken und Winde ber den bebumten und wiesengrnen Hgeln. Und wie in den Gasthusern der Dцrfer rings um die Studentenstadt die Rapiere der schlagenden

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Verbindungen klirrten, so stand Ludwig Uhland ewig auf der Mensur fr »das gute alte Recht« des Volkes, fr Deutschtum und Demokratie gegen die kleinliche Tyrannei der kleinen Frsten. Er wurde 1848 als Vertreter der demokratisch-grodeutschen Fraktion in das Frankfurter Parlament gewhlt, nachdem er schon 1833 seine Tbinger Professur fr deutsche Literatur wegen politischer Differenzen mit der wrttembergischen Regierung niedergelegt hatte. Seine eigentliche poetische Produktion fllt in die erste Hlfte seines Lebens. Da sang er jene schцnen Lieder, die lngst in den Volksmund bergegangen sind: »Ich hatt' einen Kameraden« und Balladen wie »Das Glck von Edenhall«. Als Balladendichter ist neben Uhland der Schlesier _Moritz Graf Strachwitz_ (1822-1847) hervorzuheben, der mit Gnther, Bchner, Hauff zu jener edlen Reihe jung verstorbener deutscher Dichterjnglinge gehцrt, die der schwrmerischen Liebe ihres Volkes immer gewi sein werden. Die Ballade nach der komischen Seite hin bearbeitete in lustigen gereimten Schwnken der weinselige _August Kopisch_ (1799-1853), dessen «Heinzelmnnchen» wir als Kinder mit brennenden Augen, dessen «Historie von Noah« wir als Studenten mit weinfeuchten Augen lasen. Der alte Kopisch sa mit seiner roten Nase in unserer Korona auf dem Schloberg von Heidelberg, hob mit der einen Hand den goldgefllten Rцmer, mit der anderen den Zeigefinger und sprach warnend: »Trinkt kein Wasser, Kinder! Ihr kennt die Geschichte von der Sintflut? Trinkt kein Wasser, dieweil darin ersufet sind all sndhaft Vieh und Menschenkind ...»

Da der leichtbltige und leichtsinnige Kopisch der beste Freund des schwermtigen und schwerbltigen Grafen _Platen_ (aus Ansbach, 1796-1835) war, mag nachdenklich stimmen. Aber vielleicht hatte Platen Kopisch nцtig wie Kopisch -- den Wein. Um sich in der Misere seines Lebens mit Heiterkeiten hin und wieder zu betrinken. Platens Schicksal war die Mnnerfreundschaft und Knabenliebe. Er suchte Adonis, ohne ihn zu finden. Seiner inbrnstigen Sehnsucht nach einem Echo seines Herzens verdanken wir die schцnsten deutschen Sonette. In Syrakus ist er gestorben, vielleicht, wie er einst sang, im Arme des endlich gefundenen Gцtterjnglings.

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Es gibt ein Wort: Nur wer wahrhaft schlecht gewesen ist, kann wahrhaft gut werden. Buddha selber mu in einem frheren Leben einmal ein Mцrder gewesen sein. Niemand sehnt sich so brennend nach Erlцsung wie der Unreine, der Verfehmte, wie der Verbrecher, der seines Verbrechens sich bewut wird. _Friedrich Hebbel_, ein Bauernsohn aus Dithmarschen (1813-1860), war vielleicht das, was man einen bцsen Menschen nennt. Von Dmonen gehetzt brach er, ein verhungerter Wolf, an dem man jede Rippe einzeln zhlen konnte, in die Lmmerweide der deutschen Dichtung ein. Jedes Mittel war ihm recht, seinen geistigen Hunger zu stillen. Er schlug Eide in den Wind und verriet Frauen, die ihn liebten, und ohne die er krepiert wre -- um der Idee zu dienen. Er war ein armer Schcher, ans Kreuz dieses Lebens geschlagen. Er hufte Schuld auf Schuld -- und wute darum und litt darunter. Die erschtterndste Tragцdie, die er schrieb, ist sein Leben. Wir leben es erschttert mit, whrend wir die Dramen, die er schrieb, nur staunend respektieren. Lieben kцnnen wir den Menschen Hebbel. Den Dichter wollen wir ehrfurchtsvoll salutieren. Am liebenswrdigsten zeigt er sich noch in seinen Gedichten. Es ist psychologisch beachtenswert, da Hebbel selbst seine Lyrik fr seine bedeutendste dichterische Leistung hielt. Er selbst konnte wohl gedanklich, aber gefhlsmig mit seiner wie ein Eisengerst konstruierten Dramatik nicht mit. Seine Logik berspitzte sich (in Maria Magdalena, in Agnes Bernauer). Er verfolgte ein Problem noch ber seine Lцsung hinaus und bewies dadurch, da ihm das Problem an sich wichtiger war als das Leben, welches die Probleme stellt. Seine Dramen sind alle irgendwie erstaunlich, man mu, wie der Wrter im zoologischen Garten auf sonderbare Tiere, mit dem Stock darauf zeigen. Seine Nibelungentrilogie ist eine Monstrositt. Der Vollendung am nchsten kommt vielleicht sein Jugendwerk »Judith«, in dem das Problem des Zwiespalts zwischen Neigung und Pflicht, zwischen Sinnlichkeit und Sinn, zwischen ethischer Forderung und menschlicher Schwche klar gestellt und klar beantwortet wird. Die Witwe von Bethulia nahm eine Aufgabe auf sich, der sie als Mensch zwar, doch nicht als Weib gewachsen war. Das ist ihre Tragik. Hebbel nahm eine Aufgabe auf sich, der er als Denker zwar, doch nicht als Dichter gewachsen war. Das ist seine Tragik. Sein Antipode, aus hnlich niederem Milieu entwachsen, _Christian Dietrich Grabbe_ (1801-1836), Sohn eines Zuchthausaufsehers in

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Detmold, wollte weniger -- aber konnte mehr. Er empfing seine ersten Eindrcke, wenn er im Zuchthause spielte und die Gefangenen wurden zum Spaziergang an die frische Luft gefhrt. Zwei und zwei, zwischen grauen Mauern, den grauen Himmel ber sich, umschritten sie schweigend in ihren Anstaltskleidern das vorgeschriebene Kreisrund, bis die Zeit erfllet ward. Seine Dramenhelden: der Herzog von Gothland, Napoleon, Hannibal, haben alle etwas von Zuchthuslern, die an den Stben ihres Gefngnisses rtteln: vergeblich. Der Zwiespalt zwischen Idee und Wirklichkeit scheint unentrinnbar. Der hehrste und heiligste Wille wird in den Staub gezogen: Achilleus schleift Hektors Leiche an seinem Wagen um die Mauern von Troja ... Immer fllt Hektor, der Anwalt der reinen Idee, und immer siegt Achilleus, grobschlchtig und protzig, weil er die Macht und die realen Dinge hinter sich hat. Die tiefste Tragцdie freilich spielt sich im Herzen des Menschen ab. Grabbes Stauffendramen (Heinrich VI., Barbarossa), vor allem aber Napoleon und Hannibal nhern sich der durch Faust und Wallenstein bezirkten groen Tragцdie. Dieser Hannibal ist ein ungeheuerlicher Bursche. Eine riesige Termite, die in der winzigen Ameisenwelt, ein Held, der unter den Hndlern zugrunde gehen mu. In »Don Juan und Faust« machte Grabbe den khnen Versuch, den germanischen und den romanischen Typus nebeneinanderzustellen. Sein Lustspiel »Scherz, Ironie, Satire und tiefere Bedeutung«, in dem der Autor voll romantischer Ironie hцchstpersцnlich nicht ohne tiefere Bedeutung auftritt, bildet in seiner buerlichen und teuflischen Derbheit ein Gegenstck zu _Georg Bchners_ zartem und schwankem Schwank »Leonce und Lena« mit seinen zerbrechlichen Figuren und Kontroversen. Georg Bchner (aus dem Darmstdtischen, 1813-1837) konnte aber auch anders als sanft lcheln oder vertrottelt disputieren. Wie einen erratischen Block schleuderte er sein franzцsisches Revolutionsdrama »Dantons Tod« von sich. Auch in seiner von Gutzkow berlieferten Gestalt (die Urform ging verloren) gehцrt es zu den mchtigsten deutschen Dramen: hier ist erstmalig, wie spter erst wieder bei Gerhart Hauptmanns »Webern«, ein ganzes Volk der Held. St. Just, Robespierre, Danton sind seine Exponenten. Den Streit aller Revolutionen zwischen Individualismus und Kommunismus entscheidet der einzige Richter, der ihn zu entscheiden vermag: der Tod. Er lenkt die Guillotine, die heute Dantons Haupt frit, die morgen das Haupt Robespierres fressen wird, bis bermorgen

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Napoleon sie von der Bhne des Welttheaters entfernt. Fr eine Weile ... Er hat andere Requisiten und Maschinen, die nicht weniger exakt und blutig arbeiten: Kanonen und Mitrailleusen. -- Im Wozzek, der Fragment geblieben ist, knpft Bchner an Lenz an (dem er eine schцne Novelle gewidmet hat). Die brgerliche Tragцdie, die Hebbel mit der Maria Magdalena schreiben wollte, sie gelang, selbst im Fragment, Bchner mit seinem Wozzek. Vom Wozzek luft die Tradition zu Wedekind, der von niemand mehr gelernt hat als von diesem Bchnerschen Aphorismus. Auch als politischer Revolutionr ist Bchner von eminenter Bedeutung. Seine Botschaft »Friede den Htten. Krieg den Palsten!« ist das flammendste deutsche revolutionre Manifest berhaupt. Bchner starb zehn Jahre zu frh. Er wre der gegebene Fhrer der 48er Revolution geworden. Er wurde nur vierundzwanzig Jahre alt. Ein Jahrhundert hat der Heldentod des Jnglings Theodor Kцrner, der ein guter Soldat, aber ein schlechter Trompeter war, das Heldenleben des Jnglings Georg Bchner vцllig verdunkelt.

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_Heinrich Laube_ (aus Sprottau, 1806-1884) schlug die dramatische Pauke, da einem Hцren und Sehen verging. Sein »Graf Essex« war das erste Theaterstck, das ich als Knabe auf der Schmierenbhne einer mrkischen Kleinstadt sah. Niemals mehr hat ein Drama einen solchen Eindruck auf mich gemacht. Ich sehe noch immer den schlotternden Essex im Kerker sitzen und hцre auf einem vom Bcker geborgten blechernen Kuchenteller zwцlfmal die Stunde des Gerichtes schlagen. Alle Schauer jagen mir im Gedchtnis daran ber den Rcken, und ich drcke den vereinigten Geistern von Laube und Essex piettvoll und gerhrt die Hand. Zu meinen erfreulichsten Jugenderinnerungen aus dem Gebiete der Literatur gehцren auch _Willibald Alexis_ (aus Breslau, 1798-1871), in den Schullesebchern immer mit dem homerischen Beinamen »der Vortreffliche« geehrt, welcher nicht undichterische historische Romane aus meiner engeren Heimat schrieb: »Die Hosen des Herrn von Bredow«, »Der Roland von Berlin«, und _Wilhelm Hauff_ (aus Stuttgart, 1802-1827), in den Schullesebchern ein wenig zrtlich, aber auch ein wenig von oben herab, »der Jugendliche« genannt. Zu der Geste des Von-oben-herab ist bei ihm nun

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keine Veranlassung. Er ist kein groer Dichter: zu den Klassikern haben ihn nur die Fabrikanten von Klassikerliteratur gemacht: denen gengen Schiller, Goethe, Kleist aus Geschftsgrnden nicht, die Brautpaare verlangen beim Heiraten zur Komplettierung ihrer Wohnungseinrichtung eine ganze Klassikerausstattung: dazu gehцren denn auch vor allen Dingen Theodor Kцrner und eine ganze Anzahl vцllig unmцglicher und verstaubter alter Herren, wie Gaudy, Gutzkow usw. Hauff ist nun ganz und gar nicht verstaubt. Er ist kein groer Dichter, aber ein Erzhler von prachtvoller novellistischer Begabung, wie seine Mrchen und Novellen beweisen. Ein Glanzstck unserer novellistischen Poesie gelang einem Franzosen: _Adalbert v. Chamisso_ (aus der Champagne, 1781-1838) mit seinem Peter Schlemihl, dem Mann, der seinen Schatten verkauft hat. Peter Schlemihl ist eine sinnbildliche und sprichwцrtliche Figur geworden. Ich wei allerdings nicht, ob er auf meine Mitbrger noch viel Eindruck macht. Sie sind ja lngst gewohnt, nicht nur ihren Schatten, sondern auch den Schatten ihres Schattens, und die Sonne, die den Schatten hervorruft, zu verkaufen. Ja, sie verkaufen sogar Peter Schlemihls wundersame Geschichte, statt sie einem jeden gratis ins Haus zu bringen, als Luxusdruck zu 300 Mark und mehr. Armer Schlemihl! Httest du zur Subskription auf dich selbst einladen kцnnen: du httest deinen Schatten nicht zu verkaufen brauchen! Aber du hast es eben nicht verstanden, dein Geschftsinteresse wahrzunehmen. Dies verstand auch _Adalbert Stifter_ nicht (aus dem Bцhmerwald, 1805-1868), der zarte Pastelle und gestrichelte Federzeichnungen nach der Natur auf kleine weie Bltter malte und zeichnete. Die Bltter sammelte er und gab ihnen dann (wie wenig geschftstchtig war er doch!) so unscheinbare Namen wie: »Studien«. Wer in den Sommerferien in den bayerischen Wald reist und lt Stifters Erzhlungen, vor allem den Hochwald, zu Hause, der verdient es nicht, Sommerferien im bayerischen Wald zu erleben. Reist er aber nach Westfalen, so mu er sich den »Oberhof« von _Karl Immermann_ (aus Magdeburg, 1796-1840) in den Rucksack stecken, oder, falls er ber Zeitbedingtes hinwegzulesen versteht, den ganzen »Mnchhausen«. Auch darf er von Immermann die tiefsinnige Mythe »Merlin«, die Tragцdie des Widerspruchs, nicht vergessen. Wenn der dem Dichter hoffentlich geneigte Leser auch den Widerspruch nicht lцsen sollte -- was tut's? Begreift er Goethes

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»Geheimnisse«? Oder Hцlderlins letzte Gedichte? Oder die Oden von Pindar? Mu denn alles so verstndlich sein wie ein Gesprch ber die teuren Zeiten im Kaufmannsladen? Nicht jeder ist ein Alexander, nicht jeder vermag den Gordischen Knoten derart gewaltttig mit dem Schwert zu lцsen, und manchmal tut's nicht einmal gut, die Lцsung mit dem Schwert, meine ich, wie =exempla docent=.

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Abseits von allen Zeitstrmen sa in Kleversulzbach in Schwaben unter der Pfarrhauslinde, behaglich seine lange Pfeife rauchend, im bunt geblmten Schlafrock mit den goldenen Quasten: _Eduard Mцrike_ (1804-1875). Wie Bchner von Kцrner, so ist sein helles Gestirn von der Wolke eines Geibel beschattet worden, und bis ans Ende des 19. Jahrhunderts haben wenige gewut, was hinter dem biederen Pfarrer von Kleversulzbach steckt. _Ferdinand Freiligrath_ (aus Detmold, 1810-1876), und _Friedrich Rckert_ (aus Schweinfurt, 1788-1866), um noch die besten zu nennen, blendeten die deutsche Leserwelt mit ihrer Exotik voll ungewцhnlichen lyrischen Farbenreichtums. Der Allerweltsepigone Geibel und die Geibelepigonen verslichten den Geschmack des deutschen Publikums vollends, so da es an einem klaren Trunk, wie ihn Mцrike kredenzte, keinen Geschmack mehr fand. Zu alledem schrien dem deutschen Volk die politischen Dichter noch die Ohren voll, Herwegh an der Spitze, bescheiden wie sie immer sind, traten sie trompetend vor ihre Jahrmarktsbude und schrien: »Nur immer hereinspaziert, meine Herrschaften! Wir haben die einzig echte, die einzig wahre, die politische Kunst gepachtet!« Sie hatten eine Menge Zulauf. Auch Freiligraths wohlassortierte Menagerie, in welcher der Wstenkцnig, der Lцwe, die Hauptattraktion bildete, und wo ein waschechter Mohrenkцnig an der Kasse sa, wurde berlaufen. Der Blumenstand, an dem die Muse selbst Mцrikes Feldblumen oder auch Rosen und Nelkenstrue feilhielt, wurde nicht beachtet. Eduard Mцrike hatte mit einer Paraphrase des Wilhelm Meister: dem Roman Maler Nolten, begonnen, der nicht ohne Eindruck blieb. Mit Gottes Wort, das Gott ihm selber in den Mund gelegt, mit seinen Gedichten predigte der Kleversulzbacher Pfarrer lange tauben Ohren. Seine Verse sind nicht gemeielt wie die Hцlderlinschen, nicht in der Trunkenheit herausgebrllt wie die

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Gntherschen, nicht ziseliert wie die Heineschen, geflцtet wie die Platenschen: sie fielen wie reife Frchte vom Baum in seinen Pfarrhausgarten. Sie sind nicht erknstelt, nicht erzwungen: sie sind rund und vollendet und duften wie reife pfel. Der Sonnenblume gleich stand sein Gemt offen. Er brauchte in seiner friedlichen Seele keine Schlachten zu schlagen wie Hebbel. Nur schwach schwankte die Schale zwischen Lieben und Leiden. Seine Phantastik schweift milde wie ein Sommervogel in seinen Erzhlungen (Mozart auf der Reise nach Prag) und Mrchen. Er erschreckt nie. Seine Schauergeschichten machen lcheln. Und wenn er dunkel ist, so ist er dunkel wie eine Sommernacht in Kleversulzbach, warm und besternt, und wir wissen, da die Morgenrцte nicht fern ist. Dann werden wir mit dem Kleversulzbacher Pfarrherrn und seinem Kster auf den Kirchturm steigen.

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Die Schweizer hatten sich mit dem Fabeldichter Ulrich Boner, mit Bodmer, Breitinger und vor allem mit Gener schon vorteilhaft in die deutsche Literatur eingefhrt, als sie mit _Jeremias Gotthelf_ (aus Murten, 1797 bis 1854) einen Haupttreffer machten. Was sind das fr Kerle, die Schweizer Bauern und Buerinnen des Pfarrers Bitzius aus dem Emmental. Auf angeerbter Scholle sitzen sie: derb, treuherzig, fromm. Kein Falsch ist an ihnen und kein Flitter. Ihr Wort: eine Enzianblte im Gebirge. Die Schweizer kцnnen aber nicht nur buerisch derb, sie kцnnen auch stdtisch, =а la mode= oder historisch gekleidet daherstolziert kommen, wie Gottfried Keller und Conrad Ferdinand Meyer beweisen.

_Gottfried Keller_ (aus Zrich, 1819-1890) lt seinen »Grnen Heinrich« in der Tracht aufmarschieren, die Grimmelshausen, Heinse, Goethe in die deutsche Literatur eingefhrt haben: jeder mit etwas anderem Schnitt. Das Problem der Entwicklung beherrscht den »Grnen Heinrich« auf seinen tausend Seiten: so gut wie Simplex, wie Ardinghello, wie Wilhelm Meister ist er auf dem Wege zu sich selbst. Der Weg, der zu einem selbst fhrt, ist nun nicht so bequem wie die Chausseen bei Kopenhagen, wo alle fnf Minuten, an jeder Wegbiegung, eine Tafel steht: nach da und nach da und nach da: man kann nicht fehlgehen. Wie steht es hingegen mit den Wegen zu sich? Da gert man auf allerlei Nebenpfade, in Gestrpp, Wolfsgruben, auf fremden Besitz, und man mu froh sein, wenn

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