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„zeugt die vom späten Habermas vorgeschlagene Konzeption des “kantianischen Pragmatismus” wenn nicht sogar von der „Wende“ in Richtung des Transzendentalismus, dann zumindest von einem bedeutenden Zugeständnis an ihn“ (Soboleva, 2005, S. 335). Aus diesem Grund schreibt die Forscherin über die Konvergenz der Positionen der beiden Denker.

Der Verfasser, obgleich er mit dieser Schlussfolgerung im ganzen einverstanden ist, möchte trotzdem anmerken, dass Habermas mit Karl-Otto Apel nicht nur über die Frage der Notwendigkeit eines nicht „starken“, sondern „schwachen“ Transzendentalismus, sondern auch über die Frage der Begründung der für die Philosophie der Kommunikation fundamentalen Idee der Intersubjektivität diskutiert hat. Habermas war mit Kants Transzendentalismus wegen dessen monologischem Charakter nicht einverstanden und bezweifelte die Idee der „Letztbegründung“ von K.-O. Apel, weil bei diesem der Transzendentalphilosoph beginnt, eine führende Position im Diskurs einzunehmen. Die Diskursregeln können transzendental, ihr Begreifen kann aber nicht endgültig und ein für allemal gegeben sein, weil es sich faktisch zeigen lässt, dass die Art und Weise dieses Begreifens und die Möglichkeiten der Beschreibung dieser Regeln mannigfaltig sind; außerdem ist es erforderlich, unser bis heute erreichtes Verständnis kontinuierlich gründlich zu bedenken, um ein tiefer gehendes Begreifen zu gewinnen. Deswegen versucht Habermas, die Einheit der kommunikativen Vernunft in der Vielfalt ihrer Stimmen zu begründen (Habermas, 1988a) und den von Kant zu Hegel führenden methodologischen Ansatz auszuarbeiten. Dadurch lässt sich die Notwendigkeit einer solchen Untersuchung besser erkennen, die die kommunikative Vernunft als Begriff (im Sinne der Hegelschen dialektischen Logik) beschreiben kann. Dieser Begriff erlaubt allen seinen Inhalten sich aus ihrer eigenen Logik zu entwickeln, weil er in sich eine dialektische Synthese der verschiedenen und sogar auseinandergehenden Dimensionen seiner Verwirklichung in der Realität trägt.

Im Folgenden geben wir einen kurzen Überblick über die Monographie von Vladimir Furs (Furs, 2000), der bis zum Herbst 2009 als Professor der Philosophie an der Universität Minsk tätig war, aber plötzlich gestorben ist; mit ihm hat die russische Philosophie einen der besten Schüler von Habermas verloren. Die Basis seiner Untersuchung ist eine Reihe von Werken des deutschen Philosophen, außer der „Theorie des kommunikativen Handelns“ sind auch „Nachmetaphysisches Denken“ (1988), „Der philosophische Diskurs der Moderne“ (1988) und Schriften der zahlreichen Kritiker und Interpretatoren von Haber-mas – McCarthy, Lyotard usw. einbezogen. V. Furs nennt als Ziel seines Werkes „die analytische Rekonstruktion […] der Logik der Entwicklung von Jürgen Habermas‘ Konzeption, einer Logik, die alle seine Werke durchzieht und die nicht immer in ihren direkten Konsequenzen vom Autor bemerkt

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wird“ (Furs, 2000, S. 18). Das Werk des weißrussischen Philosophen ist reich an verschiedenartigen Denkkonstruktionen sowohl von Habermas selbst als auch von Vertretern der westlichen Tradition der kommunikativen Philosophie; es führt den russischen Leser in diese Tradition ein, wodurch es von großer Bedeutung für unsere philosophische Gemeinschaft ist. Der Autor selbst erklärt am Anfang der Monographie das, was seines Erachtens als Grundprinzip der Philosophie des deutschen Denkers anzusehen ist: „Wenn wir versuchen, in einer Phrase die Grundidee der Position des reifen Habermas zu äußern, dann können wir diese Position als die feste und umfangreich entwickelte, theoretisch begründete Überzeugung des Philosophen formulieren: „Das Projekt der Moderne ist unvollständig“ “ (Furs, 2000, S. 17). Daraus folgt (mit dem Vorbehalt der unvermeidlichen Vereinfachung der Position des weißrussischen Forschers), dass die Aufmerksamkeit des Autors stärker auf die „kritische Theorie der Gegenwart“ als auf das neue und aussichtsreiche Paradigma der soziohumanitären Erkenntnis gerichtet ist, und daraus geht hervor, warum das ganze letzte Kapitel verschiedenartigen Handlungstheorien mit dem Ziel, ein solches Paradigma zu schaffen, gewidmet ist.

In diesem Zusammenhang sind die in der Monographie erläuterten Charakteristiken des Phänomens der kommunikativen Rationalität für uns von Interesse. An einer Stelle wird sie definiert als „eine Disposition der sprachund handlungsfähigen Subjekte; sie zeigt sich in allen subjektiven Äußerungen, die entsprechend gut begründet sind“ (Furs, 2000, S. 67). Die Rationalität ist also grundsätzlich mit der Intention der kommunizierenden Subjekte zur Erreichung gegenseitiger Verständigung verbunden, es ist aber eine besondere Behandlung des Problems erforderlich, wie sich diese „Dispositionen“ bilden (sie sind Ausdruck des „dezentrierten Weltverständnisses“, das sich unter den Personen in der diskursiven Praxis entwickelt).

An einer anderen Stelle seines Buches schreibt Vladimir Furs über die Relevanz des Modells der kommunikativen Rationalität für die Gesellschaftstheorie und erklärt diese Relevanz so, dass dieses Modell uns erlaube, die Theorie durch die Integration zweier unterschiedlicher Perspektiven zu schaffen – der Perspektive des Teilnehmers an den sozialen Interaktionen und der Perspektive des Beobachters der Prozesse in der Welt. Wir (als Theoretiker) können, ohne die Sprachhandlungen der kommunizierenden Subjekte zu objektivieren, ihr Wissen zu begreifen und es für unsere Lebenspraxis wirksam machen, weil wir die gleichen Strukturen gegenseitiger Verständigung in Kraft setzen können, die die Praktiken der in der Lebenswelt real durchgeführten Diskurse konstituieren – diese Strukturen regulieren nicht nur die Diskurse, sondern sichern auch die Möglichkeit ihrer reflexiven Kontrolle (Furs, 2000, S. 85). Der Erklärung dieses Gedankens ist das ganze nächste (das dritte) Kapitel der Monographie des weißrussischen Wissenschaftlers gewidmet.

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Das letzte Kapitel der Monographie von Furs führt ein bestimmtes Verständnis der philosophischen Rationalität überhaupt ein: „Ich möchte versuchen, die philosophische Rationalität insgesamt auf einen normativen Komplex zurückzuführen, der dem philosophischen Denken Regulative gibt und damit auf bestimmte Weise artikuliert wird“ (Furs, 2000, S. 177). Gerade dieser methodologische Grundsatz erlaubt es dem Autor, die „Habermas-Lehre“ zu formulieren, die wir hier nicht darlegen wollen; wir richten aber unsere Aufmerksamkeit darauf, dass die wichtigste „negative“ (in der Formulierung des Autors) Lehre in der Notwendigkeit „der starken Reaktivität des philosophischen Bestandteils der theoretischen Arbeit an neuen Realitäten der Lebenswelt” besteht (sonst könnte sich herausstellen, dass die Theorie, die den ganzen Weg von kategorialen Operationen bis zur Anwendung der Analysen zurücklegt, ins Leere läuft, weil „ihre“ soziale Realität aufhört, zu existieren) (Furs, 2000, S. 221). Der weißrussische Forscher lädt auf diese Weise die humanwissenschaftliche Öffentlichkeit ein, eine theoretische Synthese verschiedener Paradigmen zu schaffen, anstatt bei kritisch-ablehnenden Einstellungen zu allen, die „nicht unsere“ sind, stehenzubleiben. Das bedeutet keinen methodologischen Anarchismus, sondern dass sich die Hauptprinzipien der Theorie aus der realen Lebenspraxis der Subjekte ergeben sollen, die nach gegenseitiger Verständigung über ihre Situation in einer sich ständig verändernden Welt streben. Die Arbeit von Vladimir Furs macht also nicht nur Habermas‘ Philosophie der kommunikativen Rationalität der russischen wissenschaftlichen Öffentlichkeit bekannt, sondern leistet auch einen Beitrag zur Überwindung der Geschlossenheit und der Abstraktheit unserer Humanwissenschaften, die nicht immer einen Zugang zur lebendigen Realität haben. Darin liegt die große Bedeutung dieser Monographie. Der Inhalt der kommunikativen Vernunft kann aber nicht nur aus dem umfassenden Begriff der Rationalität überhaupt, sondern auch aus sich selbst, als sich dialektisch entwickelnd, erklärt werden, und davon nimmt das zentrale Problem der Monographie von V. Furs seinen Ausgang – das Problem der Aktualisierung und der Entwicklung einer der Vernunft adäquaten Theorie.

So realisiert meine Monographie „Kommunikative Theorie der Vernunft von Jürgen Habermas“ (Shachin, 2010) den methodologischen Ansatz, der die gesamte Theorie des deutschen Denkers als eine dialektische Entwicklung der Inhalte des grundlegenden Begriffs der kommunikativen Vernunft darstellt. Dieser Begriff ist eine „konkrete Totalität“ im Hegelschen Sinne, d.h., er enthält die verschiedenen Momente in sich, die sich wechselseitig ergänzen und einen indirekten Einfluss aufeinander ausüben können. Diese Momente haben aber ihre je eigenen spezifischen Inhalte, so dass einige von ihnen nicht auf andere zurückgeführt werden können. Es geht darum, dass die kommunikative Vernunft drei Hauptbereiche hat, die durch die Beziehungen zwischen dem Subjekt und der Welt bestimmt werden, die das Subjekt in seiner Lebenspraxis eingeht; die

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entsprechenden Bereiche sind also: der kognitiv-instrumentale (ist durch die Beziehung zur äußeren Welt bestimmt), der moralisch-praktische (ist durch die Beziehung zur intersubjektiven, d.h., sozialen Welt bestimmt) und der ästhetisch-expressive (ist durch die Beziehung zur inneren Welt bestimmt); der Inhalt des Begriffs der kommunikativen Vernunft ist nicht auf nur einen ihrer Bereiche zu reduzieren. Deswegen können wir Jürgen Habermas im Einzelnen als Erkenntnistheoretiker, als Soziologen, als Politologen, als Sprachphilosophen, als Ethiker, sogar als Psychologen studieren; ohne das Erfassen des Grundprinzips seines philosophischen Systems kann aber der Inhalt seiner Werke als eklektisch oder sogar widerspruchsvoll erscheinen (Shachin, 2010, S. 11 f.).

So ist eine Spezifik unserer Interpretation die „Theorie des kommunikativen Handelns“ von Habermas; im Folgenden soll versucht werden, sie zu legitimieren. Wenn Habermas selbst seine Lehre „Theorie des kommunikativen Handelns“ nennt, dann schreibt der Interpret über kommunikative Theorie der Vernunft. In welchem Verhältnis stehen die Begriffe „kommunikatives Handeln“ und „kommunikative Vernunft“ zueinander? Die kommunikative Vernunft ist in der formal-pragmatischen Struktur der Sprache, in den Voraussetzungen der gegenseitigen Verständigung zwischen den Teilnehmern der sprachlichen Kommunikation enthalten. Diese Tendenz zur gegenseitigen Verständigung entwickelt sich allerdings fast immer unter ungünstigen Bedingungen, weil die Kommunikationsteilnehmer die fundamentale Norm der gegenseitigen Anerkennung als Personen oft nicht befolgen; die kommunikative Vernunft wird trotzdem allmählich empirischwirksam, weil sie das Weltverständnis der Subjekte beeinflusst. Diese Einsicht eröffnet einen Weg zur philosophischen Begründung der kommunikative Theorie der Vernunft: Es geht darum, dass sich das Potential der kommunikativen Vernunft in der gesellschaftlichen Realität allmählich verwirklicht, dass Veränderungen in der Gesellschaft durch Veränderungen im Bewusstsein der Personen vorbereitet werden und durch Transformation der Handlungsorientierungen der gesellschaftlichen Subjekte geschehen. Diese Orientierungen hören mehr und mehr auf, monologisch zu sein, und werden umgekehrt zu Ergebnissen der kommunikativen Praxis, die zur gegenseitigen Verständigung führt. So kann Habermas auf dem Fundament des Begriffs der kommunikativen Vernunft die Methodologie der Erkenntnis der Gesellschaft entwickeln, und dazu musste er verschiedene methodologische Ansätze, vor allem einen system-funktionalistischen und einen hermeneutisch-phänomeno- logischen Ansatze synthetisieren. Als Ergebnis dieser Synthese ist eine Theorie der Gesellschaft als Einheit von System und Lebenswelt entstanden (mehr darüber im Folgenden). Die Grundlage dieser Synthese ist die Theorie des kommunikativen Handelns. Habermas hat sie auch durch seine synthetische Tätigkeit erarbeitet: Er ist dabei von Max Webers Handlungstheorie

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ausgegangen, hat diese Theorie erweitert und vertieft (durch Einbeziehung der Interpretationen der kritischen Theoretiker Georg Lukács, Th.W. Adorno, M. Horkheimer usw.), und hat die sprachanalytische Philosophie einbezogen, um von der Handlungstheorie zur Theorie des kommunikativen Handelns überzugehen (weiter wird darüber ausführlicher eingegangen). Bildlich (im Platonischen Sinne) gesprochen, ist das kommunikative Handeln ein Prozess der Verwirklichung der kommunikativen Vernunft in der Realität, und die Ergebnisse des kommunikativen Handelns (der erreichte Konsens über verschiedene Fragen) sind verschiedene Gestalten, die das Potential der Vernunft in sich enthalten und allmählich verwirklichen. Wenn wir strenger (vom logischer Standpunkt aus) sprechen, dann ist das kommunikative Handeln eine einfache Form der Tätigkeit von Personen mit dem Ziel der Erreichung gegenseitiger Verständigung; es ist immer kollektiv und führt zur Koordinierung der Pläne der individuell Handelnden in den entsprechenden äußeren, sozialen oder inneren (subjektiven) „Welten“. Im Fall des Misslingens der Koordinierung der subjektiven Pläne geht das kommunikative Handeln zu komplizierteren, reflexiven Formen über – im Diskurs und in der „Expertenargumentation“ (Habermas, 1987, Bd. 1, S. 67–71, 144–148). Die kommunikative Vernunft verwirklicht also im kommunikativen Handeln (und in anderen reflexiven Formen) ihr Potential, und daraus kann man schließen, dass die Theorie des kommunikativen Handelns (in engeren Sinn) die empirische Dimension der kommunikativen Theorie der Vernunft ist. Habermas hat in seinem Werk „Theorie des kommunikativen Handelns“ die allmähliche Entwicklung aller Dimensionen der kommunikativen Vernunft aufgezeigt. Es ist also die Theorie des kommunikativen Handelns im weiteren Sinn, die mit der kommunikativen Theorie der Vernunft zusammenfällt, und sie kommt in der kritischen Theorie der gegenwärtigen Gesellschaft zu ihrer logischen Vollendung. Der philosophische Kern der Theorie des kommunikativen Handelns in diesem weiten Sinne bildet also den Begriff der kommunikativen Vernunft (Begriff im Hegelschen Sinne) (Shachin, 2010, S. 27 ff.).

Diese methodologischen Überlegungen müssen jetzt noch mit einem konkreten Inhalt gefüllt werden. So wird in diesem letzten Teil des Artikels dargelegt, wie Habermas als Autor eines philosophischen Systems dargestellt werden kann, das die kritische Theorie der Gesellschaft durch die konsequente und dialektische Entwicklung des fundamentalen Begriffs der kommunikativen Vernunft begründet (auf der Grundlage des Textes „Theorie des kommunikativen Handelns“).

Bei der Erarbeitung des Begriffs der kommunikativen Vernunft ist Habermas von zwei logischen Subjekten ausgegangen, denen das Prädikat „rational“ zugeschrieben werden kann: das sind das Handeln und die Personen. Dem Handeln entsprechen in der Sprache die Aussagen, weil die Struktur der

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Sprache, außer der propositionellen Komponente, eine illokutionäre Komponente enthält, in der sich Ansprüche der Aussagen auf intersubjektive Geltung ausdrücken. Der Sprecher soll diese Geltungsansprüche durch Angabe vernünftiger Begründungen seiner Position (d.h. durch Argumente) bestätigen, um den Hörer von der Wahrheit, der Richtigkeit oder der Wahrhaftigkeit seiner Position zu überzeugen (das hängt davon ab, welchen Geltungsanspruch der Hörer in Zweifel zieht). Somit ist die Rationalität der Aussagen durch ihre Begründetheit bestimmt, die im Diskurs zum Ausdruck kommt (die Begriffe „Diskurs“ und „Argumentation“ sind bei Habermas verwandt, aber nicht gleichbedeutend: Diskurse sind universale und reflexive Formen der Argumentationen) (Vgl. Habermas, 1987, Bd. 1, S. 65–71).

Die Rationalität der Personen dagegen zeigt sich im „dezentrierten Weltverständnis“ (Jean Piaget). Dieses entwickelt sich durch die Einübung der kommunikativen Rollen des Sprechers, des Hörers und des neutrales Beobachters und bedeutet, dass drei fundamentale Einstellungen im Bewusstsein des Menschen vorhanden sind: die objektivierende im Verhältnis zur Natur, die normkonforme im Verhältnis zur Gesellschaft und die expressiv-darstellende im Verhältnis zur inneren Welt der subjektiven Erlebnisse, zu denen man einen privilegierten Zugang hat (Habermas, 1987, Bd. 1, S. 104–107).

Die Rationalität der Personen und die Rationalität der Aussagen bilden eine dialektische Synthese im Prozess des kommunikativen Handelns, das zur Koordinierung der subjektiven Pläne der Tätigkeiten in drei verschiedenen möglichen Welten führt – der Natur, der Gesellschaft oder der inneren Welt. Einerseits entwickeln die Subjekte immer mehr kritische Einstellungen zu ihren Meinungen in der Praxis des kommunikativen Handelns, und realisieren damit das Potential des „dezentrierten Weltverständnisses“. Andererseits aktiviert das kom-munikative Handeln die Vernunft, die als „Summe der Möglichkeiten“ in der formal-pragmatischen Struktur der Geltungsansprüche zu begreifen ist. Es geht darum, dass nur die argumentative Bestätigung der Geltungsansprüche der Aussagen zu einem Konsensus führen kann, der in der formal-pragmatischen Sprachstruktur angelegt und vorweggenommen ist (Habermas, 1987, Bd. 1, S. 128–148).

Wenn wir konkrete Wege zur Erreichung gegenseitiger Verständigung aufzeigen wollen, dann ist vor allem zu betonen, dass die genuinen „illokutionären Bindungskräfte“ der vernünftigen Rede keine äußere Bestätigung durch Sanktionen erfordern. Diese Sanktionen beladen die Sprechakte mit „perlokutionären Effekten“, die nur ein scheinbares Einverständnis schaffen. Das echte Einverständnis hat einen von innen verpflichtenden Charakter für alle Kommunikationsteilnehmer. Zwei kognitive Voraussetzungen für das Erreichen dieses Einverständnisses sind die folgenden:

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das Wissen der Personen über die Bedingungen, unter denen der Adressat des Sprechaktes (d.h. der Hörer) die mit dem Sprecher koordinierten Handeln durchführen kann, sowie das Wissen über die Bedingungen, unter denen der Initiator des Sprechaktes (d.h. der Sprecher) die den Hörer überzeugenden Gründe anführen kann (im Fall des Zweifels des Hörers an Geltungsansprüchen der Aussagen des Sprechers). Für das kommunikative Handeln hat die zweite Gruppe der Bedingungen eine besondere Bedeutung. Der Sprecher kann den Hörer rational nötigen, seine Vorschläge zur Handlungskoordination anzunehmen, wenn er die Garantie geben kann, notwendigerweise die Begründungen anzuführen, die der Kritik des Hörers standhalten können. Gerade diese „Garantien der Begründungen“ schaffen die „handlungskoordinierenden Effekte“. Der Hörer wird durch die Logik des Diskurses zur Anerkennung genötigt, dass die Position des Sprechers die Erwartung der Fortsetzung des Handelns in einer für die Gemeinschaft der Argumentierenden bedeutsamen Richtung ausdrückt, und schließt sich folglich diesen gemeinsamen Handlungen an (Habermas, 1987, Bd. 1, S. 402–409).

Wir haben die Redewendung „Logik des Diskurses“ in Hinblick darauf gebraucht, dass Normen existieren, die die Erörterung der Geltungsansprüche der Aussagen regeln. Es ist unmöglich, eine einzelne Aussage außerhalb des Kontextes aller übrigen Argumente des Sprechers und Gegenargumente des Hörers zu verstehen. Der Inhalt der Aussagen trägt die Totalität aller möglichen Meinungen und Standpunkte potentiell in sich. Die gesamte Sprachstruktur der kommunikativen Vernunft tritt als Geltungsansprüche zutage. Sie beziehen jeden Sprachakt auf drei entsprechende Arten des Handelns, bei deren Durchführung die Akteure bestimmte Beziehungen in objektiven, sozialen oder subjektiven „Welten“ eingehen. Ist die Hervorhebung irgendeiner Art des Handelns von der Situation bestimmt, in deren die Koordination der Pläne des Handelns in die Schwierigkeit geraten ist, so beginnen die Kommunikationsteilnehmer diese Situation zu besprechen und eine gemeinsame Situationsdefinition auszuarbeiten (Habermas, 1987, Bd. 1, S. 411–414, 439 ff.)1.

Diese Struktur der kommunikativen Vernunft ist aber nicht von Anfang an gegeben, sondern ein Ergebnis kontinuierlicher Evolution, die sowohl auf der ontogenetischen als auch auf der phylogenetischen Ebene abläuft. Die erste ist die Ebene der individuellen Entwicklung. Im Lauf der Ontogenese der sprachkommunikativen Fähigkeiten werden individuelle Standpunkte und individuelle Handlungsmotivationen immer mehr von symbolischen Strukturen durchdrungen, die durch die kommunikativen Rollen des Sprechers, des Hörers und

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Sieh auch die Tabelle (Habermas, 1987, Bd. 1, S. 439), die die universale Struktur

 

 

der kommunikativen Vernunft aufgrund der Beziehungen zu den entsprechenden

 

Handlungen in den Sprechakten darstellt.

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des neutralen Beobachters bestimmt sind. Als Ergebnis wird das Selbst bis zum Gesellschaftsniveau universalisiert, ohne dadurch mit den standardmäßigen korporativen Identitätsvorbildern identisch zu werden (Habermas, 1987, Bd. 2, S. 47–68).

Die zweite Ebene ist die Ebene des kollektiven Weltverständnisses. Hier handelt sich um die Evolution der „Versprachlichung“ des fundamentalen normativen Einverständnisses, das früher durch das mythologische Weltverständnis (in verschiedenen Formen des letzteren) vor Kritik geschützt worden war. Dieses Einverständnis wird durch verschiedene kommunikative Handlungsarten ersetzt, die sich der Form des entsprechenden Geltungsanspruchs nach voneinander unterscheiden. Mit anderen Worten: Die entsprechenden Arten der Diskurse – theoretischer, praktischer, ästhetisch-expressiver und explikativer, oder erklärender – finden ihre institutionellen Verkörperungen in der Wissenschaft, in den Bürgerdiskussionen zu moralisch-praktischen Fragen, in der ästhetischen Kritik und im Bildungssystem. Dabei „verzweigen“ sich neue den traditionellen Gemeinschaften unbekannte soziale Rollen (oder die alten Rollen werden mit prinzipiell neuen Inhalten angefüllt). Alle Formen der Diskurse werden autonom und voneinander unabhängig: Die Wissenschaften lassen sich zum Beispiel durch kein anderes Kriterium außer dem der Wahrheit, die Kunst durch kein anderes Kriterium außer dem der Schönheit leiten. Und auch das Leitmotiv des „Individuierungszwangs“ entsteht durch alle diese neuen sozialen Rollen. Das bedeutet, dass in jedem Diskurs unterstellt wird, dass die Teilnehmer Initiative bekunden, das verfestigte Einverständnis zu problematisieren und die Verantwortung für die Folgen solcher Problematisierungen zu übernehmen (Habermas, 1987, Bd. 2, S. 87–111).

Durch die Ergebnisssynthese der ontogenetischen und der phylogenetischen Untersuchungen hat Habermas die seine Theorie der kommunikativen Rationalisierung der Lebenswelt ausgearbeitet. Unter „Lebenswelt“ versteht Habermas den ganzen universellen symbolischen Gesellschaftsbereich. Durch die Entwicklung ihres Potentials in der Geschichte erlaubt es die kommunikative Vernunft, Bereiche der Kultur, der Gesellschaft und der Persönlichkeit vom mythologisch-magisch geschützten Einverständnis abzutrennen. Jeder Bereich entwickelt sich nach seinen eigenen Gesetzen weiter. Die Integration dieser Bereiche bewirkt eine diskursive Moral, die die Perspektive einer sozialen Evolution vorschlägt – die allmähliche Realisierung des Ideals der unbegrenzten kommunikativen Gemeinschaft in der Lebenswelt. Die diskursive Moral akzentuiert die praktische Dimension der Prozedur rationaler Erörterung – die allmähliche Entwicklung zur gegenseitigen Anerkennung aller Argumentierenden als Personen (Habermas, 1987, Bd. 2, S. 133–147).

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Die kommunikative Rationalisierung setzt die Notwendigkeit der instrumentellen Rationalisierung voraus. Das bedeutet, dass die Gesellschaft eine untrennbare Einheit von System und Lebenswelt ist: das erste sichert die materielle Reproduktion der Gesellschaft – die Lebenswelt die symbolische Reproduktion. Auf welchem Niveau kommen diese beiden Bereiche der Gesellschaft ins Gleichgewicht und wo liegen in der Gegenwart die Gründe für die Verletzung dieses Gleichgewichts? Diesen beiden Fragen ist die synthetische Theorie der Gesellschaft von Habermas gewidmet.

Nach einer Lösung des für die Gesellschaftstheorie entscheidenden Problems – des Konstruktionsproblems – suchend, hat Habermas die Methodologie der Synthese der beiden konzeptuellen Ansätze – des phänomenologischen und des systemfunktionalistischen – erarbeitet. Dem phänomenologischen Ansatz nach ist die Gesellschaft eine von drei Dimensionen des symbolischen Universums, deren Bestandteile Vorbilder für die Interpretation der Realität sind, die den Menschen zur Verfügung stehen. Die Schlüsselkategorie der phänomenologischen Gesellschaftstheorie ist die Kategorie der Lebenswelt; die Lebenswelt fällt in der Theorie von Habermas mit dem ganzen symbolischen Universum zusammen. Die Lebenswelt enthält drei Hauptstrukturkomponenten: Die kulturelle Tradition, die Gesellschaft im eigentlichen Sinne als Komplex der geltenden Normen, von denen die Menschen bei ihrem gegenseitigen Zusammenwirken geleitet sind, und die Person in ihrer dialektischen Einheit von Individualität und Intersubjektivität (I und Me, in der Terminologie von G.H. Mead). Die Lebenswelt reproduziert sich durch das Medium des kommunikativen Handelns: Immer, wenn Personen Pläne ihres Handelns aufgrund gegenseitiger Übereinstimmung koordinieren, aktualisieren sie inhaltliche Vorbilder, die in der Lebenswelt im Modus der Selbstverständnisse immer präsent sind, und erarbeiten so die Definition der Situation – d.h. sie beginnen, sich in der Realität zu zurechtzufinden, und machen diese Realität vertraut und den Menschen zugänglich. Es gibt drei Hauptprozesse dieser Reproduktion der Lebenswelt in sozialer Zeit und Raum: Den Prozess der kulturellen Reproduktion, der eine dialektische Einheit des authentischen Erhaltens der kulturellen Tradition und derer Erneuerung unterstellt; den Prozess der sozialen Integration, in dem die gesellschaftlichen Normen ausgearbeitet werden und der Inhalt der Werte konstituiert wird, an denen sich die individuellen Pläne des Handelns orientieren; und den Prozess der Sozialisation, in dem erwachsen werdende Personen sich die in der kulturellen Tradition akkumulierte kollektive Erfahrung aneignen und den Inhalt der sozialen Normen internalisieren, wenn sie konkrete Beziehungen mit anderen Menschen eingehen (dieser Inhalt wird in realen Erfahrungen des sozialen Zusammenwirkens mit anderen begriffen, besonders durch die Internalisierung von Einstellungen anderer). Im Ganzen drückt der phänomenologische Ansatz den Standpunkt der am kommunikativen Handeln

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Teilnehmenden aus. Die Lebenswelt wird von ihnen als „Reservoir“ von Selbstverständnissen angesehen, die im Prozess der Ausarbeitung der gemeinsamen Situationsdefinition in explizites Wissen verwandelt werden, das die Grundlage der gesellschaftlichen Normen, des Weltverständnisses oder der Motivation der Personen legt (Habermas, 1987, Bd. 2, S. 182–228).

Der phänomenologische Ansatz hat aber einen entscheidenden Mangel: Er trägt der Tatsache nicht Rechnung, dass die Gesellschaft im ständigen Stoff-, Energieund Informationsaustausch mit der natürlichen Umwelt steht; dass die Imperative der Selbsterhaltung der Gesellschaft in individuelle Handlungspläne eingehen und sich von innen verwandeln lassen. Der system-funktionalistische methodologische Ansatz analysiert gerade, wie individuelle Handlungen in funktionellen „Ketten“ „gebunden“ werden, wie sich die materiale Reproduktion der Gesellschaft sichernde soziale Institutionen aufgrund dieser „Ketten“ bilden, und wie die koordinierte Tätigkeit der Personen in diesen Institutionen das ganze gesellschaftliche System erzeugt, das nach den Prinzipien der Verteilung der Hauptfunktionen der Adaptation zur natürlichen Umwelt, der Zielsetzung, der Integration und der Legitimation zwischen den entsprechenden Subsystemen der Wirtschaft, der Politik, des normativen Subsystems und der Kultur konstituiert wird. Der systemfunktionalistische Ansatz drückt eine Position des Beobachters des Prozesses der Selbsterhaltung der Gesellschaft durch Überwindung der Komplexität der Umwelt aus. Die konzeptionelle Hauptschwierigkeit besteht für diesen Ansatz in der Unmöglichkeit, direkte kausale Zusammenhänge zwischen dem Funktionieren der ökonomischen und politischen Subsysteme einerseits und den Prozessen der symbolischen Reproduktion der Gesellschaft in normativen und kulturellen Bereichen andererseits festzustellen. Die Versuche, die Systemtheorie der Gesellschaft in neukantianischem Geist, durch die Idee zu interpretieren, dass alle Subsysteme den Inhalt der universellen Werte in der Welt verwirklichen, führen nicht zu dem gewünschten Ergebnis: Die Logik der Entwicklung des symbolischen Inhalts von Werten und die Gesetze der Selbsterhaltung des materiellen Substrats der Gesellschaft sind keineswegs direkt miteinander verbunden (sonst würden wir voraussetzen, dass der Inhalt der universellen Werte der Wahrheit, der Moralität und der Schönheit in den fundamentalen Parametern der Welt, in der sich die Gesellschaft befindet, angelegt ist) (Habermas, 1987, Bd. 2, S. 347– 444).

Deshalb kritisiert J. Habermas den methodologischen Ansatz von T. Parsons, die Lebenswelt in das gesellschaftliche System uneingeschränkt zu assimilieren, aber er unterliegt mit der Kritik auch der Versuchung, sich den Funktionsgesetzen des ökonomischen oder des politischen Subsystems von Positionen aus zu nähern, die durch die moralisch-praktische oder ästhetischexpressive Rationalität bestimmt sind (Habermas, 1987, Bd. 2, S. 223–228,

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